Zwei Schritte vor, einer zurück

Zwei Schritte vor, einer zurück

Zwischenfazit

Der November nimmt seinen Lauf, in Deutschland fällt der erste Schnee und in Ghana brennt weiter die Sonne auf Komenda. Ein Wetter um am Strand unter Palmen zu liegen und zwischen kalten Getränken und Eis mit leckeren Früchten sein Dasein zu genießen.

Doch zu viel gibt es zu tun und die Zeit drängt. Die Einweihung des Jugendclubs muss vorbereitet werden, es gilt weiter Geld fürs Projekt zu beschaffen, die Workshops finden bereits täglich statt und in unserem AIM. Büro ist immer etwas zu tun.

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Nachdem ich in meinem letzten Bericht freudig über den Schritt nach vorne mit Dupaul und seinem Versprechen auf Unterstützung berichtet habe, kommt nun der unerfreuliche Schritt zurück. Ein Treffen mit Dupaul war angesetzt, um Details zu klären. Solomon, unser Projektmanager nahm sich den ganzen Tag frei und wir fuhren nach Takoradi. Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt waren wir an den Dupaul Büros.

Wir warteten. 30 Minuten – 60 Minuten – 90 Minuten. Wir versuchten Mr. Awortwi anzurufen, versuchten es alle fünf Minuten (hier zeugt das von Ernsthaftigkeit!). Nach zwei Stunden bekamen wir ihn endlich ans Telefon. Er sandte und ins innere Takoradis, wollte uns dort treffen. Also ging es mit dem nächsten Taxi zurück in die Innenstadt. Wir suchten uns ein Cafee und weiter ging es mit warten. Wir warteten 30 Minuten – 60 Minuten – 90 Minuten. Wir versuchten ihn anzurufen, versuchten es wieder und wieder. Nach drei Stunden gingen wir zu Solomons Freundin in Takoradi. Ich wartete bis das letzte Trotro nach Komenda fuhr in der Hoffnung ihn noch zu erreichen aber die Nachricht in der Stadt auf ihn zu warten, war bis heute das letzte was wir von ihm gehört haben.

Wieso verschwindet Mr. Awortwi wenn es ernst wird plötzlich von der Bildfläche? Hätte ich sein Versprechen nicht mit eigenen Ohren gehört, ich würde es nicht glauben. Gelder in Ghana zu beschaffen ist nicht einfach. Das vorgesehene Projektgeld neigt sich dem Ende zu, Bemühungen sind da doch das Ergebnis ist nicht zufrieden stellend. Von der einen Seite hört man, Mr. Awortwi wäre in der Ashanti Region. Warum erzählt er uns dann wir sollen nach Takoradi fahren?

Nachdem wir dank Internet die Telefonnummer des Dupaul Büros angerufen haben, heißt es dort von seit her: er kommt morgen wieder! Wann ist morgen? Solomon meint, Mr. Awortwi ist sowohl ein sehr beschäftigter, als auch ein ernsthafter Mann, der nicht nur so einfach mal was verspricht. Das ist jetzt zwei Wochen her. Was sollen wir tun? Reich an Erfahrungen reicht auf Dauer nicht als Ergebnis, um eine Schule auf die Beine zu stellen.

Ein Blick auf den Jugendclub. Andi aus dem Social Office in Elmina folgte meiner Einladung, bei den AIM. Jugendlichen eine Präsentation über die Nation Health Insurance zu halten. Ein wichtiges Thema hier, welchem durch fehlendes Wissen von vielen nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird. Meine große Sorge, dass entweder zu wenig Jugendliche oder alle zu spät eintreffen, wurde nicht bestätigt. Etwa 30 AIM. Youth Club Mitgliedern lauschten einem lebendigen Vortrag von Andi. Die anschließenden, teils sehr intelligenten Fragen mussten bei einbrechender Dunkelheit abgebrochen werden. Ein sehr positiver Schritt nach vorne.

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Ihr wartet auf den Rückschritt? Ich würde das folgende lieber als Ghanas Realität bezeichnen. Die Workshops laufen inzwischen. Pünktlichkeit und fehlende Abwesenheit der Verantwortlichen ist dabei das größte Problem. Die Vereinssatzung, welche ich mit einigen Jugendlichen ausgearbeitet habe, muss auf dieses Problem spezialisiert werden. Ich fragte darum beim allgemeinen Meeting nach Vorschlägen für Lektionen für die Zuspätkommer. Die darauf folgenden Minuten frustrierten mich sehr und machten mir Ghanas Realität deutlich:

„Schläge mit dem Stock.“ – „Was?“. „Hinknien.“ – „Wofür?“. „An die Tafel stellen und von den Anderen dagegen drücken lassen.“ – „Ist das euer Ernst?“. Der Jugendclub ist da um euch zu bilden und euern Geist entfalten zu lassen. Ich bin hier um euch dabei zu helfen. Durch Schläge, Hinknien oder in die Ecke stellen; lernt ihr dadurch euren Kopf zu gebrauchen? Ich möchte euch nicht abhärten, ich möchte euch weiterbringen, euch helfen das nächste Mal mit Freuden pünktlich erscheinen zu sehen. Hier soll niemand Angst haben, ihr sollt frei denken können und lernen eure eigenen Ideen in die Tat umzusetzen. Wer hat mir einen Vorschlag, der euch lehrt euren Kopf einzusetzen?

„Geld zahlen.“ – „Bildet dich weiter?“. „Nach Hause schicken.“ – „Wem bringt das was?“. „Suspendieren.“ – „Gut, aber das schon wegen zu spät kommen?“. Ich möchte etwas hören was euch oder eure Umgebung bereichert, nicht unterdrückt!

„Den Raum fegen.“ – „Das klingt schon besser!“­. „Das Gras kürzen.“ – „Kann man machen.“. Doch was ist mit euch? Bildung statt Strafe!

Ich erklärte ihnen, was wir in Deutschland für Methoden haben, wenn jemand zu spät kommt, oder nicht lernen will: Etwas in schöner Schrift wiederholt schreiben. Einen Aufsatz verfassen. In Englisch (was für alle in unserem Jugendclub eine Herausforderung ist) eine Erklärung vor der Gruppe abgeben. Einen Vortrag vorbereiten. Etwas Künstlerisches zum Thema malen/basteln. Oder Ähnliches, was Bildung und Kreativität fördert. Nicht ein Jugendlicher ist auf einen dieser Vorschläge gekommen. Hier existieren Strafen in dieser Form nicht.

Ich fragte sie, ob ihnen diese Ideen gefallen. Sie bejahten einheitlich. Ob sie wirklich verstanden haben, worum es mir ging, weiß ich nicht. Es wird ein langer Prozess sein, den Jugendlichen Ghanas ein freies Denken zu ermöglichen.

Liebe Leser, dies war ein Punkt an dem ich mir nicht weiter zu helfen wusste. Ich stand vor einer Gruppe Jugendlichen, die mir vorschlug, ich solle sie schlagen, wenn sie zu spät kommen. Ich bin hier Gast in einer anderen Kultur, ich sollte die Lebenswelt der Ghanaer respektieren. Respektieren, doch muss ich sie auch übernehmen? Was ist die Aufgabe unseres Jugendclubs? Wer kann mir hierbei weiterhelfen?

Wieder stoße ich an die Grenzen zwischen zwei Kulturen. Ich frage mich, ist es nicht verrückt? Erst kommen die „weißen Männer“, unterdrücken die Afrikaner und bringen ihnen bei, nichts Wert zu sein. Sie machen sie zu Sklaven und lehren ihnen, bei Nichtbeachtung ihrer Regeln werden sie Schläge des Besseren belehren. Jahrhunderte später kommen wieder „weiße Menschen“ nach Afrika. Diesmal verbreiten sie, das alle Menschen – egal welcher Kultur und Hautfarbe – gleich wertvoll sind. Sie fordern sie auf, frei zu denken und Schläge nicht als Strafe einzusetzen. Was sollen die Menschen in Afrika nun denken?

Damit möchte ich mein Zwischenfazit beenden. Ich ermuntere alle Leser, mir ihre Kommentare zu schicken. Sie interessieren mich sehr und können zum Austausch zwischen Kulturen sehr wertvoll sein.

Aus Ghana mit besten Wünschen,

Eure Alrun S.

P.S. Schaut euch die Fotos gut an, in einem sind Buchstaben versteckt 🙂