Eine etwas andere Erziehungsmethode
Die Fante-Stunde sollte beginnen, ich wollte nur noch schnell die Wäsche abnehmen. Dann auf einmal härte ich ein fruchtbares, nicht enden wollendes Schreien. Ich tippte auf einen Säugling in einem der Häuser in der Nähe. Aber so ganz passte das Geräusch doch nicht.
Dann rannte Tabita, vielleicht so 12 Jahre alt, schreiend aus unserem Nachbarhaus. Wir kennen das Mädchen gut, sie ist die Enkelin unserer Vermieterin Oma.
Tabita krümmte sich, schlug die Hände über den Kopf. Suchte offensichtlich nach Halt. Wirkte verloren auf dem Sandplatz vor unserem Haus.
Ich dachte zuerst an psychische Schmerzen, vielleicht ein gestorbener Verwandter.
Sie deutete wimmernd auf ihr Gesicht. Fridtjof verstand es als Erstes: Sie hatte Chili-Pulver in den Augen. Auch ihr Gesicht und ihre Kleidung waren voll davon. Lois half ihr, die Augen mit Wasser auszuwaschen.
Tabita hörte nicht auf zu wimmern und sich vor Schmerzen zu krümmen.
Nach und nach übersetzte unser Fante-Lehrer Ebenezer uns, was Tabita bruchstückhaft herausbrachte und was Oma energisch von ihrem Gartenstuhl drüben aus herüberrief. Tabita hatte ihr Handy verloren und aus Zorn oder als Bestrafung hatte Oma ihr das Chili-Pulver ins Gesicht geworfen.
Sie war noch sehr aufgebracht und wirkte unzufrieden, dass wir versucht hatten, dem Kind zu helfen.
Für Oma ist der Verlust des Handys eine finanzielle Katastrophe. Ihr Mann ist vor noch nicht einmal zwei Monaten gestorben, sie ist eine relativ alte Frau und lebt allein mit ihrer Enkelin.
Wir hatten uns inzwischen auf unsere Veranda zurückgezogen, Tabita saß noch immer wimmernd davor, verschwand dann aber bald.
Auch wenn es sich noch so falsch anfühlte, ließ ich sie allein. Nur diese medizinische Erstversorgung.
Ich saß auf unserem Sofa, den Tränen nah, geschockt von dieser Grausamkeit. Ich wäre liebend gern zu ihr rausgegangen, hätte sie in den Arm genommen, ihr irgendetwas gesagt, damit sie weiß, dass sie nicht allein ist.
Aber ich tat es nicht.
Ich wusste, ich könnte es nicht, dürfte es nicht.
Es war das Verhältnis zu Oma und durch sie vermutlich zur ganzen Nachbarschaft, das ich mich nicht aufs Spiel zu setzen traute.
Es war aber auch die Gewissheit, dieses Land, die Umgangsformen und Erziehungsmethoden noch nicht im Geringsten durchblicken zu können.
Es war der Respekt vor dieser älteren Person, die so viel mehr Lebenserfahrung hat. Und das Wissen, dass ich kein Recht hatte, diese Lebenserfahrung zu hinterfragen.
Es war die Befürchtung, dass sich langfristig nichts verändern, und kurzfristig vielleicht alles noch verschlimmern könnt.
Es war meinen eigene Intention, in dieses Land zu fahren, um die Menschen und ihre Sitten kennenzulernen, gegen die ich mich gestellt hätte.
Dieses Kind schluchzen zu hören war etwas unglaublich furchtbares.
Ich glaube trotzdem noch immer, dass es richtig war, mich nicht weiter einzumischen. Dafür kann ich die gesamte Situation zu wenig überblicken.